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Das Wichtigste zuerst: Die Krankheit geht wieder weg.
Ganz sicher.

Ich möchte hier meinen persönlichen Verlauf schildern und die Stationen, die ich in Anspruch nahm. Zunächst aus der objektiven Retrospektive. Dann aus meiner persönlichen Sicht zu der Zeit.

Schwangerschaft, Geburt und Nachsorge:

Die Aufklärung vor und nach der Geburt – allein in Bezug auf die PPD – ist noch unzureichend. Bei Gynäkologen, in den Vorbereitungskursen, durch die Hebammen in der Vor- und Nachsorge, in den Entbindungskliniken wird zu wenig pro-aktiv mit dem Begriff der PPD gearbeitet.

Mütterzentren, Elternschulen, Rückbildung:

In Hamburg gibt es in den Stadtteilen Zentren, die Müttern die Gelegenheit bieten, gemeinsam mit ihren Säuglingen zu morgendlichen oder nachmittäglichen Kreisen zusammenzufinden. Wichtige Arbeit wird dort geleistet. In der Gruppe wird über Erfahrungen und Probleme geredet, die Leiterinnen geben Rat und Hilfe, auch die anwesenden Mütter beanspruchen sich gegenseitig. Dennoch fassen die Pädagoginnen nicht intensiv nach, wenn von Agressionen oder Schlafstörungen gesprochen wird – die Themen beschränken sich auf die üblichen Sorgen. Hier ist die Gruppe auch nicht immer das geeignete Mittel, um sich zu offenbaren. Die Leiterinnen müssen in Einzelfällen bestimmte Signale von Müttern wahrnehmen und ihnen im Vier-Augen-Gespräch die richtigen Fragen stellen. Das passiert zu wenig. Auch aus dem Grund, weil die Betroffenen möglicherweise überhaupt nicht unglücklich wirken. Bei den Rückbildungskursen sieht es ähnlich aus. Zumal eine Beobachtung der Interaktion von Mutter und Kind in der Regel nicht stattfinden kann, wenn die Mütter den Kurs ohne ihre Kinder machen. Eine von einer PPD betroffene Mutter ist schwer zu erkennen. Und das Ansprechen auf mögliche Probleme ein sehr sensibler Bereich. Dazu gehört Mut. Von beiden Seiten.

Entbindungs-Kliniken:

Im Krankenhaus gibt es das „Rooming-in“. Nachdem die Mutter ihren Säugling versorgt hat, kann sie ihn auf die Baby-Station geben, damit sie in Ruhe schlafen kann. Tut sie das ausnahmslos jede Nacht und ist sie wenig daran interessiert, ihr Baby permanent bei sich zu haben, kann dies bereits ein erstes Zeichen für Überforderung sein.

Wenn im weiteren Verlauf eine Mutter erneut die Entbindungsklinik aufsucht, weil es Probleme gibt (bei mir war das ein Milchstau, als mein Kind sechs Monate alt war), sollte das Klinikpersonal an der Ursache interessiert sein. Man behandelte mich sehr fürsorglich und lieb, ließ mich einige Zeit ausruhen, nachdem man den Milchstau wegzumassieren versuchte, aber die Fragen blieben aus. Zu der Zeit hatte ich bereits eine schwere Krise.

Hebammen:

Die Hebamme hat den persönlichsten Kontakt zur Mutter. Wenn eine Mutter ungebührlich viele Schwierigkeiten bei der Versorgung ihres Kindes erkennen lässt – wie etwa extreme Aversion gegen das Stillen oder große Unsicherheit im Umgang mit dem Säugling, kann dies auf eine Erkrankung hindeuten. Hier findet noch zu wenig Aufklärung statt, die Hebammen müssen ihre routinemäßigen Aufgaben zudem zeitlich beschränken – möglicherweise erkennen auch sie die Symptome nicht auf Anhieb oder agieren erst, wenn die Mutter von sich aus Fragen stellt. Dies ist in der Regel zu diesem Zeitpunkt für die Mutter schwierig, da sie sich noch sehr im Anfangsstadium ihrer Erkrankung befindet und ihre negativen Gefühle vielleicht als „normal“ empfindet oder nicht darüber sprechen will.

Gynäkologen/Hausärzte:

Die Nachuntersuchung im Anschluss an die Entbindung ist mir nur verschwommen in Erinnerung. Da ich den Gynäkologen zu Beginn meiner Schwangerschaft gewechselt hatte, konnte ich keine persönliche Beziehung zu meinem neuen Frauenarzt aufbauen. Der Grund für den Wechsel war durch den für mich damals seltsamen Umstand begleitet, dass ich aufgeregt einen Termin vereinbarte, um die Schwangerschaft offiziell bestätigen zu lassen. Da ich bereits wusste, ich war schwanger, war das für mich zwar nur eine Formsache. Ich erwartete aber von meinem Frauenarzt, sich mit mir zu freuen. Das passierte nicht, es gab keine Glückwünsche und auch sonst erschien mir der Arzt plötzlich desinteressiert und lahm. Die anschließende Blutabnahme missglückte vollends und ich flüchtete weinend aus der Praxis.

Als ich bereits depressiv einen Termin bei meinem Hausarzt, den ich sehr schätze, vereinbarte, da ich dachte, ich hätte vielleicht eine Mandelentzündung (der zugeschnürte Hals wurde zu einer Belastung). Die Untersuchung ergab nichts. Ich kam dann selbst auf die Idee, dass etwas mit mir nicht stimmte und fragte nach möglichen Adressen für Mütter mit Problemen. Er gab mir daraufhin einige Flyer von kirchlichen Institutionen. Davon fühlte ich mich nicht angesprochen. Ich kann sagen, dass das Verhältnis zu meinem Hausarzt dennoch immer gut war und es bis heute ist. Später, als es mir besser ging, gab ich ihm die Kontaktdaten des UKE, falls eine seiner Patientinnen mit ähnlichen Nöten auf ihn zukommen würde. Er bestätigte mir tatsächlich, dass dies bereits der Fall gewesen sei und bedankte sich für die Weitergabe.

Psychologen/Therapeuten:

Nachdem ich von einer Mutter aus der Nachmittagsgruppe der Elternschule den Tipp erhielt, ich möge mich an eine Therapeutin wenden, die mir bei meinen „Schlafproblemen“ sicher helfen könne, vereinbarte ich einen Termin. Ich schilderte ihr meine Not, weinte sehr und schämte mich. Die Therapeutin fragte relativ schnell nach meiner Vergangenheit, meinem Vater -also den familiären Verhältnissen in der Kindheit. Diese Fragen schienen mir zu dem Zeitpunkt unpassend. Sie machte mir das Angebot einer tiefenpsychologischen Analyse. Das hätte bedeutet, dreimal die Woche zu ihr zu gehen und mich dort auf die Couch zu legen. Das erschien mir vollkommen daneben gegriffen angesichts meines als sehr akut empfundenen Zustands und der Tatsache, dass ich ein Kleinkind zu versorgen hatte.

Dort kam dann endlich, nach einem halben Jahr Verwirrung und völliger nervlicher Abgeschlagenheit und körperlicher Erschöpfung etwas aus mir heraus. Ich sagte ihr: „Das hilft mir nicht! Kein bisschen! Ich möchte in ein Krankenhaus eingewiesen werden, ich brauche ganz dringend Hilfe! Ich kann das alles alleine nicht mehr!“ Ich glaube, erst da entschied sie sich, ihr Angebot zurückzuziehen und mir den ersten wertvollen Hinweis zu geben. Sie nannte mir das UKE (Universitätskliniken Hamburg Eppendorf) als Anlaufstelle und gab mir eine Telefonnummer.

Ich erfuhr, dass es dort ein Mutter-Kind-Zentrum gibt, wo beide ambulant aufgenommen werden können. Ich schaffte es, dort anzurufen, verpasste aber den Termin – da ich annahm, es handele sich um einen Tag der offenen Tür, zu dem jeder kommen könne. Die Oberärztin der Abteilung rief mich glücklicherweise an und vereinbarte einen neuen Termin mit mir.

Insgesamt gibt es nur vier solcher Plätze innerhalb des gesamten Klinikums. Ich hatte Glück und wurde zwei Wochen später aufgenommen. Über die Therapie und ihren Erfolg sage ich an anderer Stelle – und vor allem im persönlichen Gespräch – mehr.

Fazit:

Insgesamt ist augenfällig, dass die genannten Institutionen und Personen eine PPD in ihr Behandlungs- oder Beratungsprogramm zu wenig aktiv integrieren. Mich selbst hat die Diagnose sehr spät erreicht, ich habe vor, während und nach der Schwangerschaft niemanden erlebt, der sie ausgesprochen hätte. Ob Zufall oder nicht. Es ist zu wünschen, dass dies so wenig Frauen wie möglich passiert, damit die Hilfe schneller greifen kann.

Ich kann sagen, dass ich eine sehr aktive Depressive gewesen bin. Da ich eine Flüchterin darstellte (das eigene Zuhause ängstigte mich, ich hielt mich permanent unter Menschen auf bzw. wollte das unbedingt, obwohl ich dennoch nichts mit den Menschen anfangen konnte. Gefühlsmäßig hatte ich zu niemandem einen Bezug), fand ich alle Anlaufstellen. Ich ging zur Babymassage, traf mich mit anderen Müttern auf der grünen Wiese, ging zu jedem verfügbaren offenen Treffen in den Zentren, suchte Gespräche und Trost. Einziges Ziel: Nicht allein sein.

Diese Aktivitäten lassen den Schluss zu, dass es kein Zufall ist, dass PPD als Folge der Geburt eines Kindes so unbekannt ist. Es kann sich nur darum handeln, dass Aufklärung in viel größerem Ausmaß als bisher betrieben werden muss. Zumal davon auszugehen ist, dass nicht jede Mutter so aktiv nach außen geht, wie ich es tat. Manchmal passiert genau das Gegenteil. Man traut sich überhaupt nicht mehr nach draußen und schließt sich und das Baby quasi von der Außenwelt ab. Die eigenen vier Wände scheinen dann überhaupt der einzige halbwegs sichere Ort zu sein.

Die Ursachen sind sicher interessant, nur möchte ich sie hier nicht im Detail erforschen.

Mir liegt daran, diesen Missstand aufzuheben. Ich trete darum in Kontakt mit den genannten Stellen. Zudem ist mir wichtig, dass Frauen in anderen betroffenen Frauen sehr kompetente Ansprechpartner finden.

Denn es geht nicht allein um organisatorische, psychologische und medikamentöse Hilfe. Es geht unbedingt auch um Mitgefühl und Verständnis. Dieses „Mitfühlen“ und „Verstehen“ angedeihen zu lassen, gebiert sich aus der selbst gemachten Erfahrung und ist darum gleichzeitig meine Motivation.